Ich musste meinen Personalausweis verlängern lassen und bin das erste mal nicht nur gefragt worden, wie groß ich bin, sondern wieviel ich denn schon geschrumpft bin. Ab 50 wird man das gefragt. Jetzt bin ich in meinem neuen Ausweis einen Zentimeter weniger hoch. Kratzt ein bisschen an der Ehre, ist aber zu verschmerzen. Mit zunehmendem Alter lebt der Mensch quasi  tiefer gelegt. Das Gefühl kenn ich schon. Als es mich das erste mal in einen Rollstuhl gesetzt hat, zum Beispiel. Auf einmal war ich auf Höhe eines Kindes. Die Welt oben und ich unten. Es macht etwas mit dir, wenn du immer nach oben gucken, greifen und kommunizieren musst. Ich hab mich schlagartig kleiner gefühlt. Auch innen. Wurde ich jetzt weniger ernst genommen? Selbst wenn dem nicht so war, die Frage allein hat mich aus dem Tritt, Entschuldigung, Sitz gebracht. Heute, 14 Jahre später, hab ich daran gewöhnt, das Leben überwiegend sitzend zu bestreiten. Ich fühle mich immer noch klein, weiss aber mittlerweile besser damit umzugehen. Und ich erkläre nichts mehr. Es gehört sich nämlich nicht, zB im Rollstuhl zu sitzen und trotzdem aufstehen zu können, um im Supermarkt an das obere Regal zu kommen. Verstehen die Menschen nicht. Aber so ist das mit der MS. An manchen Tagen funktioniert stehen und laufen, an anderen Tagen nicht. Als MS-Erkrankter bin ich lebenslang in Erklär-Zwang. Nicht nur bei den Menschen im Supermarkt, auch bei Ärzt*innen. Sobald in der Akte die Diagnose MS steht, soll diese für alles verantwortlich sein, sagt die Facharztfraktion, während die Neurologie erstmal alles andere ausgeschlossen haben möchte, denn „Man kann auch Läuse UND Flöhe haben“! Das ist frustrierend, schult aber auch für ein tiefer gelegtes Leben. Umgang mit gehandicapten Menschen ist ein bisschen wie Gendern. Es kann nur normal und leicht werden, wenn man normal und leicht damit umgeht. Also, bleiben Sie auch ruhig sitzen!