Hallo, Leude!
Was haben wir uns nicht schon alle darüber aufgeregt, dass Kinder beim Überqueren der Fahrbahn alles mögliche tun, jedoch nicht das, was wir von ihnen erwarten. Aufpassen! Links umschauen und kontrollieren und rechts umschauen und kontrollieren! So hörten wir „Oldies“ es von dem Weisen Otto Walkes damals auf Deutschlands Bühnen.
Das ist ein Grund dafür, dass Kinder nicht Autofahren sollten. Zwei weitere Gründe seien der Vollständigkeit halber genannt. Sie können nicht über das Lenkrad schauen, und die Füße erreichen die Pedale nicht. Diese einfachen Regeln gelten für Kinder, nicht aber für Alte. Da kannst du ruhig um zwanzig Zentimeter geschrumpft sein. Wer kennt sie nicht, die Geisterfahrzeuge ohne eine Person hinterm Steuer? Das ist aber eine optische Täuschung.
Beobachtet man alte Menschen im Straßenverkehr, kann man eine deutliche Verhaltensähnlichkeit mit Kindern erkennen. Das hat den Grund, dass Kinder „geteilte Aufmerksamkeit“ noch nicht beherrschen, während die Alten möglicherweise vergessen haben, dass man aufmerksam sein sollte.
Was das mit neurologisch erkrankten Menschen zutun hat, darüber haben Edda und ich uns im Podcast unterhalten. Entgegen der häufigen Auffassung, dass der Gebrauch eines Rollstuhls der Grund für Erwerbsunfähigkeit bei chronisch kranken Menschen sein könnte, ist es genau dieses Aufmerksamkeitsdefizit, das Arbeit häufig unmöglich macht.
Auch wenn uns sofort der Dachdecker mit dem Rolli auf dem Dachfirst in den Sinn kommt, ist das ein Bild aus fernster Vergangenheit, als es noch um Berufe und deren Ansprüche an die körperliche Verfassung ging. Das hat die Gesellschaft längst überwunden. Für Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit reicht die Ausführung des Jobs „Fahrstuhlführer*in“. Nichts gegen diese wichtige Aufgabe in Luxushotels für die oberen Zehntausend. Die freien Stellen sind definitiv überschaubar. Mir traute man nicht einmal zu, im Fahrstuhl sitzend einen Knopf zu drücken. Ich bin nur einmal in einem Fahrstuhl mit Personal gefahren. Das war bei einem Peter Gabriel Konzert, als ich den VIP Parkplatz mit meinem Behindertenbus benutzen durfte. Da wurde auf der 10 Sekunden dauernden Fahrt Champagner gereicht. Dafür nimmt man natürlich keine Behindis, versteht sich!
Aufmerksamkeit allein reicht nicht für besonders große Sprünge. „Geteilte Aufmerksamkeit“ sind die Zauberworte der Neuropsychologen, die zur Feststellung derselben eine ganze Batterie von Programmen, Befragungsbögen und Tief-in-die-Augen-schauen-Gespräche am Start haben. Man stelle sich vor, das würde man mit Ü65 Autofahrer*innen machen. Die Verkehrswende wäre innerhalb eines Vormittags vollbracht, und die Autohersteller würden auf den Verkauf von Bussen umsteigen. Behinderte brauchten schon immer mehr „Aufmerksamkeit“!
Jetzt wissen wir, was geteilte nicht vorhandene Aufmerksamkeit von außen bedeutet. Aber was macht das mit uns?
Rückwärts einparken und vorwärts Klavier spielen! Das trifft es, wie die Faust aufs Auge! Ich kann nicht Klavier spielen, aber ich kann rückwärts einparken. Während ich vor dem Einparken eine kurze Meditation zur Beruhigung durchführe, hält Edda einen kleinen Plausch mit ihren dysfunktionalen Füßen. Würden wir, wie Alte, einfach weitermachen, müssten wir in einem Hinterzimmer unser Dasein fristen. So war das früher mal. Wegschließen und Schlüssel …!
Nein, keine Angst! Ich übertreibe! Allerdings ist der Besuch einer Einkaufs-Mail für mich mal Gruseltheater gewesen. Man hätte mich nur unter Androhung körperlicher Gewallt in einen Hexenkessel bekommen, indem Menschen auf ihr Handy starrend wie Flipperkugeln scheinbar ziellos durch die Gegend irren und dabei alles umrennen, woran man nicht abprallt. Lärm, telefonieren, gehen, Eis essen und einen Kinderwagen mit einem traumatisierten Kind drin schieben, nennen sie Multitasking. Ich nenne es Irrenanstalt.
Stellt euch einen Augenblick vor, ihr würdet auf einem Flughafen erwachen. Die Hinweisschilder wären mit chinesischen Schriftzeichen übersät. Beim Blick nach draußen befindest du dich Unterwasser. Die Ansagen kämen mit infernalischer Lautstärke aus den Lautsprechen, auf gälisch und das Personal bestünde aus Oompa Loompas. Das ist die Welt, in der du entspannt einen Flug nach Hause nehmen sollst!
Während alle um dich herum das völlig normal finden, hast du deinen ersten Nervenzusammenbruch. Du sollst chinesisch lesen und gälisch hören lernen. Und das, obwohl du die Schule grölend und feiernd vor vielen Jahren verlassen hast. Dann heißt es: „Atmen, Stoffwechseln, nich ärgern lassen“, wie Edda immer so schön sagt. Multitasking ist Unsinn. In Ruhe nacheinander, in der eigenen Geschwindigkeit üben. Dafür sind dann Apps super, die uns beim Training helfen. Abnehmen tun sie uns gar nichts.
Euer Ingenieur