Hallo, Leude!
Googele ich „Ergotherapie“, ploppt sofort die Folgeorganisation der Hamburg-Mannheimer Versicherung auf. Schon nach „Ergo…“ werden unzählige Seiten des aggressiv werbenden Versicherers angezeigt. Meine Finger sind zu langsam!
Versicherer machen ihr Geld damit, dass sie den Kund:innen Katastrophenmanagement für Katastrophen verkaufen, die eintreten könnten. Je wahrscheinlicher desto teurer. Das ist bei uns unglaublich beliebt. Am Besten ist man schon mal gegen das Leben selbst gut versichert. Hätte bei Edda und mir schon mal versagt! Das Leben hat bereits zugeschlagen.
Und die nennen sich „Ergo“. Sie meinen damit, dass du versichert sein musst, „ergo“ (also) bekommst du etwas. Ja, du bekommst zum Beispiel Krankheiten.
So verheißungsvoll ein Versicherungsunternehmen den lateinischen Begriff verwendet, ist es in der Ergotherapie ein bisschen anders, konkreter, ja eigentlich das Gegenteil von Versicherung. Da kannst du nicht Geld auf den Tisch legen und alles, was noch nicht passiert ist, wird in der Zukunft nach der Zukunft gut.
Unsere Gästin Sabine Hentschel ist das Gegenkonstrukt zum Konzept Versicherung! Sie ist niedergelassene Ergotherapeutin auf der Insel Sylt und auf dem Festland und packt selbst richtig an. Und das tut sie jetzt in der Gegenwart. Das ist keine Wette auf die Zukunft, sondern eine handfeste, echte Investition, die sich sofort rechnet.
Übersetzt heißt ergo: „also“, „folglich“ oder „demnach“. Aha! Sagt uns das was? Nein! So einfach das Adjektiv, so kompliziert ist Sabines Jobbeschreibung, die sie allerdings wie aus der Pistole geschossen, aufsagen konnte. Das hat mich total geflasht! Ich spar mir mal die Wiederholung und sage nur: „Es wird geschaut, was nicht rund läuft und folglich darauf reagiert“.
Die Mittel der Ergotherapeut:innen sind schier grenzenlos. Und genau das ist das Besondere daran. Krankengymnast:innen haben mir mal ein wenig despektierlich zu Ergos erzählt, sie, die KGs, arbeiteten ja mit ihren Händen!
Was wohl heißen sollte, dass die Konkurrenz das nicht tut. Das kann ich definitiv nicht bestätigen, und Sabine berichtet auch etwas anderes. Wir konstatieren zum Frieden stiften: „Krankengymnastik und Ergotherpie sind sehr sinnvolle Instrumente, die uns helfen!“
Die Krankheit Multiple Sklerose ist ja nur so mystisch, weil Schäden im Gehirn, unserem Zentralcomputer, einfach alles lahm legen können. Da liegt die Betonung auf „können“. Deshalb muss man schon mal genauer gucken, oder? Und genau das tut unsere Gästin mit einer Leidenschaft, die wir im Podcast spüren konnten. Eine Macherin ist sie. Da wird hingeschaut und zugepackt.
Edda sagte in einem der letzten Podcasts: „Wer heilt, hat recht!“
Als sei dieser Satz in Sabine fleischgeworden, plauderte sie aus dem Nähkästchen. Sie passt so gar nicht in die Schubladen-Ergotherapie der Rehakliniken. Also, Falls ihr keine guten Erinnerungen an die Gruppenergotherapie in irgendeiner Rehaklinik habt, nimmt euch Sabine die schlechten Vibes. Was Ergotherapeut:innen vor Ort tun, ist viel mehr kaum vergleichbar.
Knete kneten, Handtücher ausrollen, und die Hände in warmen Feinkies stecken, war gestern in der Klinik! Das kann natürlich gut für euch sein, nur ist es keine individuelle Behandlung!
Wenn ihr nach einer Reha mit einem Ergotherapie-Rezept bewaffnet eine Praxis aufsucht, vergesst das Stäbchenspiel und die Holzbausteine für Sechsjährige. Ihr werdet individuell behandelt, und ihr müsst selbst mit ran!
Ja, blöderweise ist therapeutisches Behandeln, ohne das ihr mitmacht, lediglich eine sichere Einnahmequelle für Behandelt:innen. Euch bringt es möglicherweise nur bedingt etwas. Sabine lässt keinen Zweifel daran, was euch erwartet! Und, das ist richtig gut! Und zwar genauso, wie es bei vielen niedergelassen Ergotherapeut:innen der Fall ist.
Den Dauerbrenner unter den MS-Slogans „Rumpf ist Trumpf“, kennt ihr sicherlich. Ich kann nur bestätigen, dass damit das A und O der Mobilität auf den Punkt gebracht ist. Wer aufstehen will, muss erstmal ohne Stütze sitzen können. Und wer gehen will, muss sich aufrecht stehend halten können. Da könnten die Beine auch Stelzen sein.
Wenn dir jemand helfen will, muss er oder sie deine Stärken fördern und erkennen, was du kannst und was nicht.
Ärzt:innen sind dem vermeintlich Verschwundenen, Kaputten, nicht Vorhandenem auf der Spur. Als Norm gilt für sie ein Richtlinien-Norm-Mensch. Was immer das sein soll! Ich bin ja kein Arzt.
Ergotherapie hieß früher „Beschäftigungstherapie“. Da tun wir etwas, und jemand schaut, wie wir es ergonomischer, besser oder überhaupt machen können. Das macht Sinn. Egal was uns widerfahren ist, die Auswirkungen beeinträchtigen unser Tun.
Wenn dein Rumpf den Körper nicht hält, kannst du mit dem Bein blöderweise nicht zur Arbeit laufen, auch wenn es noch so toll funktioniert.
Wenn dir das Wasser in dein Laptop gelaufen ist, und die Buchstaben wild über den Bildschirm tanzen, brauchst du niemanden, der nur Tastatur kann! Du brauchst jemanden, der das Wasser rauslässt und dann Stück für Stück guckt, was noch geht! So funktioniert Ergotherapie. Man guckt, was geht!
Auf die Idee ist die Medizin seit Aristoteles zwar auch schon gekommen, hat den Ansatz aber wieder verworfen! Die suchen nach dem, was weg ist! Dabei wissen sie jedoch nicht, was vorher da war. Das kann man mit MS, dieser Kurzschlusskrankheit, die heute so und morgen so ist, nur bedingt brauchen und führt zu Enttäuschungen.
Kennt ihr die „Pille“ für das nass gewordenen Laptop mit den vielleicht 1000 Kurzschlüssen oder eben nur einem? Ich meine damit, eine Lösung, wie wir sie uns so wünschen, gibt es nicht.
„Mach das Eine, dann wird es wieder gut!“, gibt es nicht. Sie können dir auch das Motherboard aus deinem Laptop schrauben und ersetzen. Das heißt nicht, das alles wieder funktioniert.
Wenn man danach sucht, was nicht geht, ist es unerlässlich, zu wissen, wie etwas funktioniert hat. Blöderweise hat die Medizin von der „richtigen“ Funktion höchstens eine Vorstellung.
Das ist ein echtes Problem für uns Betroffene mit den tausend Kurzschlüssen und unübersichtlichen Symptomen! Ergotherapie ist für uns so wichtig, weil sie sich mit uns an das Machbare herantastet. Ob Ärzt:innen wirklich wissen, was Ergotherapie bewirken kann, und wie sie das tut, ist dabei völlig egal.
Rezept ausstellen, reicht uns!
Euer Ingenieur