Folge 3/24: ME/CFS – oder wie man sagt: Na, Sie sind halt müde

Hallo, Leude!

Unser heutiger Gast ist ein sehr bekannter deutscher Historiker und Autor einiger Bestseller. Nun, wie hat sich dieser Mensch in unseren kleinen Podcast verirrt?

Was bei den vielen öffentlichen Auftritten Ilko-Saschas – aus gutem Grund – nicht diskutiert wird, ist sein ganz persönlicher Krankheitsrucksack, den er mit sich herumträgt. Und der ist üppig gefüllt, wie er uns erzählt.

ME/CFS ist die sperrige Buchstabenkombi für eine neurologische Erkrankung, an der hauptsächlich Frauen erkranken; etwa 75% wie llko-Sascha uns erzählt. Ich nenne es aus guten Gründen nur ME.

Da fühle ich mich mit ED, wie MS medizinisch genannt wird, auf einem ähnlichen Gleis unterwegs, ist doch MS mit 66,66% nah dran an ED. ED und ME trennt nur ein anderer Buchstabe, könnte man meinen. Encephalomyelitis disseminata und Myalgische Encephalomyelitis.

Was uns Ilko-Sascha erzählt, hört sich teilweise völlig anders an, als das, was Menschen mit MS über ihre Symptome erzählen. Und dann wieder denke ich, er spricht über mich! Einig sind wir uns darüber, dass ME heute auf dem Stand ist, den MS hatte, als ich erkrankte. Interessanterweise werden bei ME die gleichen Medis wie bei MS nur Off Label versuchsweise angewendet. Der vermutete Übeltäter, also Auslöser für beide Krankheiten, ist der Virus Ebbstein Bar. Aber jetzt ist Schluss mit medizinischen Spitzfindigkeiten, an denen llko-Sascha keinerlei Interesse hat.

„Die Krankheit hat mich! Nicht ich habe die Krankheit!“ Die Intensität, die Ilko-Sascha während des Gesprächs verströmt, kann man nahezu körperlich spüren. Das ist angesichts der extremen Saugkraft der Krankheit, die Betroffene im wahrsten Sinne aussaugt und entkernt liegen lässt, eine brachiale Methode des Umgangs mit der Krankheit.

Das sollte der Krankheit eine Warnung sein. Er ist der Chef im Ring. Die Krankheit wird in die hinteren Ränge verwiesen. Das ist neu für mich. Ich finde den Ansatz erfrischend positiv.

Für mich ist meine Krankheit nicht personalisiert. Sie ist weder Feind, noch irgendetwas, gegen das man kämpfen kann. Ich bin schlicht krank. Teile meines Gehirns sind durch Läsionen zerstört. Das, was es zerstört, bin ebenfalls ich. Es gehört zu mir. Würde ich davon ausgehen, das Krankheit eine Persönlichkeit hat, wäre Ilko-Saschas Herangehensweise eine Option, die ich sicher überdenken würde.

Nur sind wir Individuen, auch wenn die Medizin diese Tatsache seit hundert Jahren negieren möchte. Statistisch hat sie mit der Richtlinienmedizin sehr viel Erfolg. Individuell ist es aus meiner Sicht ein Holzweg.

Ilko-Sascha bestimmt nicht auf die Idee, irgendjemand anderen seinen Krankheitsumgang aufzuschwatzen. Wenn ich ihn über die Schmerzproblematik reden höre, fällt mir wieder mein erster Neuro ein, der meinte, bei MS gäbe es keine Schmerzen und verblöden würde ich ganz sicher nicht.

Ilko-Saschas Kapital ist sein scharfer Verstand. Den hat er nicht im Geringsten eingebüßt. Bei mir sieht das anders aus, auch wenn es nicht sonderlich auffällt. Mein Neuro lag damals gleich zweimal daneben mit seiner Prognose. Ich habe seit 25 Jahren Schmerzen und kämpfe permanent um meine kognitiven Fähigkeiten.

Ich würde mich aber niemals mit Ilko-Sascha vergleichen, dessen Schmerzen, soweit ich mich überhaupt traue, darüber etwas zu sagen, eine andere Dimension haben. Schmerzen sind das persönlichste, was die neurologische Symptomvielfalt zu bieten hat. Sie sind individuell und nicht verhandelbar. Dein Schmerz ist immer so, wie du ihn empfindest, Punkt.

Das mag bei Psychiatern selbstverständlich sein, Neurologen tun sich bisweilen jedoch immer noch schwer. Wenn ein Schmerz, wie bei unserem Gast, dazu führt, dass er nie länger als maximal drei Stunden schlafen kann, braucht es keine Schmerzskala zur Beurteilung. Das ist nur ein Symptom in der gesamten Symptompalette von ME. Eigentlich ist das schon allein zerstörerisch genug und reicht, um Forschung und Entwicklung in der Medizin schnell mit mehr finanziellen Mitteln auszustatten. Leider passiert das nicht. Noch nicht.

Es gibt im Schnitt seit Corona vier mal so viel ME Betroffene wie MS Betroffene. Auch wenn ME in der Öffentlichkeit nicht mehr komplett bedeutungslos ist, scheint es mir, dass ich mit MS das große Los in Bezug auf Aufmerksamkeit gezogen habe.

Zusätzlich zu seinem immensen Arbeitspensum unter widrigsten Bedingungen setzt sich Ilko-Sascha für seine Bubble ein. Er sagt, er lebe im hier und jetzt und lotet permanent Grenzen aus. So individuell der Schmerz ist, so individuell ist seine Herangehensweise und den Umgang mit der Krankheit, die ihn an der Backe hat. Er selbst betrachtet sich als mittelgradig betroffen. Wenn er da richtig liegt, dann ist es umso wichtiger, dass endlich etwas passiert im Umgang mit dieser schweren Erkrankung. Wir haben hier noch nie so eindeutig und krass angesprochen, wie die Medizin sich zunehmend herausnimmt, einen Disput zwischen somatischen und psychischen Krankheiten auf dem Rücken der Patient*innen auszutragen. Unser Gast ist Historiker. Ich bin sicher, dass sein Blick die Historie der Medizin seziert hat. Es ist sehr praktisch, wenn man auf die jeweils andere Disziplin verweisen kann. Damit werden psychische Krankheiten verniedlicht und somatische nicht Ernst genommen. Beides ist nicht hinzunehmen und muss sich ändern.

Das chronische Fatigue Symptom existiert als eigenständige Erkrankung und als Symptom bei unterschiedlichen neurologischen Erkrankungen. Bei MS und bei ME ist das der Fall. Es geht hier nicht um Namen, sondern um Zuständigkeiten. 

Es braucht Menschen wie Ilko-Sascha Kowalczuk, die als öffentlich gehörte Personen für eine Community von Betroffenen eine Stimme hat. Mit unserem Gast balanciert einer von ihnen auf dem Drahtseil ohne Netz.

E/CFSEuer Ingenieur.

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