Folge 2/24: Was Mein ist, ist auch Dein.

Hallo Leude!

Kennt ihr noch diese witzig sein wollende Werbung aus der Steinzeit des Fernsehens? Als die Finanzkrise der Banken eine bloße Fiktion war, fand sich die Sparkassengruppe durch eine hippe Yuppie-Werbung repräsentiert.

1995 warb die Sparkassengruppe mit folgendem Setting: Zwei erfolgreiche gleich blonde, gleich gutaussehende Typen treffen sich in einer Kneipe das erste Mal nach der Schulzeit wieder. Der Schwanzvergleich der beiden Reichen folgt auf den Fuß. Es gewinnt der von beiden, der durch Sparkassenberater noch mehr unnützes Zeug anhäuft als der andere. Das waren noch Zeiten. Heute kannste das nicht mehr machen.

Ich hatte just zu dieser Zeit ein einschneidendes Problem mit meiner Gesundheit. Die MS, die eigentlich hauptsächlich schläft laut Neurologenfachmeinung, hatte sich bei mir blöderweise anders entschieden. Neuro: „Da steckst‘e ja auch nicht drin!“ Wo er Recht hatte … Meine MS erhöhte aus heiterem Himmel die Schlagzahl beim Anlegen von neuen Läsionen im Kopf.

Beim Betrachten des Werbespots wurde mir klar, dass ich weder jemals so blondes wallendes Haar haben werde, noch Jachten besitzen oder Modells anstellen werde, um Pferdezuchten zu beaufsichtigen. Bei mir hat die Werbung nicht gewirkt. Bankberater treten wie Rechtsanwälte nur in mein Leben, wenn gar nichts anderes geht.

Elektrotechnik studierst du allerdings nicht, ohne erfolgsorientiert Geld verdienen zu wollen. Außer natürlich, du bist ein Nerd! Leude! Diese angeblichen Nerds waren 1985 schon Vergangenheit. Ich suchte mir das wohl schwerste technische Studium mit haarsträubend hohen Durchfallquoten aus, um nachher gut verdienen zu können. Und ich wollte die Kunst des Schriftsetzens auf digitales Niveau heben. So der Plan! Schriftsetzer gab‘s dann schon ziemlich schnell nicht mehr. Also Plan B. Nennt es niedere Beweggründe. Ich wollte mitspielen beim großen Spiel, das man Industrie nennt! Kann ja nicht jeder aus rein altruistischen Motiven Arzt oder Ärztin werden. Die arbeiten ja angeblich für Nüsse.

Ihr seht, es geht hier um Besitz. Das ist eigentlich unser Thema, wenn man es rational betrachtet. Wenn es irgendetwas gibt, was wirklich alle Menschen besitzen, dann sind es ihre beseelten Körper. Nennt mich pekig, aber wenn dann jemand kommt, und behauptet, ich müsste ohne Gegenleistung davon was abgeben, muss ich da erst drüber nachdenken. Dass ausgerechnet die FDP meint, zum Allgemeinwohl müsse man die Bedingungen für Organspende ändern, ist bemerkenswert. Hirntod dauert zu lange, sagen sie. Wenn die Pumpe steht, reicht das. Tot ist tot.

Alle Psychologen, die mich bislang unter die Psycholupe genommen haben, befanden mich als zu rational. Ausgerechnet wenn man an meine Organe will, soll ich nicht emotional sein. Ich neige tatsächlich zu rationalen Abwägungen. Das tue ich dann besonders intensiv, wenn es um meine emotionale Gesundheit geht. Meine Überlegung ist folgende! Mein Körper gehört mir und er ist kaputt. Jetzt muss mein „ich“ damit klar kommen. Selbst wenn ich mir, wie die reichen, lockigen Sparkassenprofiteure suggerieren wollen, einen neuen Körper leisten könnte, sind die blonden Typen, die letzten, die ich für in der Lage halte, menschliche Körper zu entwickeln.

Entschuldigung! Ihr habt noch nichts Adäquates auf den alles könnenden Markt gebracht, ihr Medizinprofis. Spenden verlangen, aber das Bürgergeld streichen wollen, ist mein Humor. Auch Yuppies bekommen weder Blut noch Organe für ihr Geld. Ich weiß, das ist blöd für euch. Diese Schranke haben wir noch nicht durch eine Bezahlschranke ersetzt.

Zweiter Punkt. Ich profitiere so sehr von dem deutschen Solidarprinzip, dass ich das Leben darin für ein schützenswertes Gut halte, mit dem man nicht handelt. Da sind allerdings seit langem Kräfte am Werk, die das ganz anders sehen. Ich war schon einmal mit einem heftigen Schub in Großbritannien. Meine Rationalität hielt mich davon ab, einen Krankenhausbesuch in GB auch nur in Betracht zu ziehen. Leude, wir haben, gemessen an dem, was auf der Insel abgeht oder dem großen Bruder auf der anderen Seite des Ozeans, märchenhafte Zustände. Trotz FDP!

Ich hatte panische Angst davor, in USA oder GB auf Medizinische Hilfe angewiesen zu sein. Ja, ich habe durchaus eine emotionale Seite. Das führte dazu, dass ich schon früh beruflich niemals allein reiste und mein Kollege, mit dem ich reiste, eingeweiht war in meine Krankheitsgeschichte. Abends kroch ich während meines letzten Auslandsaufenthalts unbemerkt an der Rezeption vorbei in mein Hotelzimmer, nachdem ich beim Essen mit dem Kunden noch professionell beste Gesundheit simuliert hatte. Am nächsten Tag war dann Schluss mit Simulation. Realität brach sich Bahn.

Ich schleppte mich also damals in Manchester vorzeitig in den Flieger. Schon während des recht kurzen Fluges überkam mich ein Gedanke. „Ich komme hier nicht aufrecht wieder raus!“ Rauskriechen empfehle ich bewusst nicht. Das ist ne echt schlechte Idee, glaubt mir! In Düsseldorf angekommen holte mich mein Schwiegervater ab. Ich betrat beruflich nie wieder ein Flugzeug und privat nur mit Rolli. Die beiden oben genannten Länder werde ich definitiv in diesem Leben nie mehr besuchen.

Man kann sich alles Mögliche einfallen lassen, um mit Rolli aus dem Flieger geholt zu werden. In weiser Voraussicht hatte ich mir kardiologische Probleme aus dem WWW angelesen und gut umgesetzt. Wichtig bei einer solchen Performance ist es, das Flugpersonal glauben zu lassen, dass alles was passiert, ihre Idee ist. Zum Beispiel die Idee der Flugbegleiterin mich besser mit Schwächeanfall in einem schmalen Rollstuhlgefährt, aus den Reihen zu bugsieren. Nicht fordern, sondern Triggerpunkte setzen, lautet das Motto. Funktioniert auch bei Medizinierenden übrigens. Als rationaler Mensch war ich ganz emotionslos auf Situationen vorbereitet, um nicht mit heftigen Emotionen durchzudrehen. Ich finde, Organspende ist ein sehr emotionales Thema.

Jeder Mensch hat eigene Erfahrungen. Diese Erfahrungen prägen uns und lassen uns ganz unterschiedlich über Dinge nachdenken und urteilen. Richtig oder falsch existiert in diesem Zusammenhang nicht. Was meine Psychologen als pure Rationalität identifiziert hatten, ist in Wirklichkeit meine versteckte extrem starke Emotionalität.

Wenn ich also etwas von mir abgeben soll, spenden soll, fühle ich mich für die Folgen verantwortlich. Wenn du ein Auto verschenkst, das komplett im Eimer ist und lebensgefährlich, ist das nicht durch den Akt der Schenkung ne gute Idee. Politiker haben an dieser einfachen Logik so viel Aktien, wie die Kuh die vor der Kirche grast, obwohl der Pastor krankheitsbedingt die Andacht nicht halten kann. Politiker und Funktionäre wollen mir ein schlechtes Gewissen einreden. Schlechtes Gewissen sells!

Wie gut das funktioniert, sieht man daran, dass zu wenig Menschen tatsächlich Blut spenden oder einen Organspendeausweis besitzen in Deutschland. Nun komme ich nach langer Vorrede, die allerdings zum Verständnis meiner Gedanken wichtig ist, zum eigentlichen Punkt: „Darf ich denn überhaupt Blut spenden? Und darf ich Organe spenden, in denen garantiert irgendetwas von meinem Blut ist?“

Wer glaubt, darauf gibt es eine eindeutige Antwort, irrt gewaltig. Medizin ist keine Naturwissenschaft. Zum Glück darf ich aber noch selbst entscheiden, was ich mit mir anfange und was nicht. Meine Entscheidung ist eindeutig. Ich würde nie Blut spenden, außer, es könnte Freunde oder Angehörige, vor was noch Schlimmerem retten als MS. Für meine Organe gilt, Lebendspende für Freunde und Angehörige nur,  wenn die Alternative der sichere Tod ist.

Glaubt mir, die MS, die Edda und ich haben, will niemand!

Und was sagen nun die Blutspendensammler und die Organspendensammler dazu, ob Menschen mit einer schweren Erkrankung des zentralen Nervensystems Spender sein können? Jedenfalls sagt die Nachfrageseite nach meiner Lesart, merkwürdigerweise genau das Gegenteil wie die Angebotsseite. Und ich teaser mal, die Seite des Bundesgesundheitsministers sagt gar nichts! Die Angebotsseite ist zum Beispiel durch die DMSG repräsentiert, die dazu ein Papier veröffentlicht hat. Aber es gibt auch andere unabhängige Betrachtungen.

https://www.organspende-info.de/organspende/transplantierbare-organe

https://www.dmsg.de/dokumentearchiv/stellungnahme_organspende_final.pdf

Für die Kolumne muss ich euch „vorerst“ im Regen stehen lassen. Der Text mit einem kleinen Exkurs in meine Internetrecherche ist allerdings schon fast fertig! Wie er euch erreichen, kann, daran tüfteln Edda und ich noch.

Euer Ingenieur

Wir benutzen Cookies um die Nutzerfreundlichkeit der Webseite zu verbessen. Durch Deinen Besuch stimmst Du dem zu.