Hallo Leude!
Edda hat es nicht wirklich mit Sport, und grundsätzlich sind neurologisch Erkrankte wenig für ihre herausragende sportliche Fitness bekannt. Nach Sport im Allgemeinen und Olympia 2024 im Besonderen, kommen wir an den Paralympics nicht vorbei. Um eine Personalie wie Celine Dion müssen wir uns nicht kümmern. Allerdings kam mir schon der völlig verrückte Gedanke, ob die nicht besser bei den Paralympics aufgehoben gewesen wäre; rein thematisch, meine ich.
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber nach den Lippenbekenntnissen der Sportreporter*innen der Öffis beim Ausklang von Olympia 2024, erwartete ich nicht den gleichen tagfüllenden Sportmarathon im TV nur mit viel technischen Hilfsschnickschnack, aber doch deutlich mehr, als da wirklich bei raus kam. Leude, dass man im Nachkriegs-TV eher homöopathisch Zusammenfassungen brachte, interessiert die Internetgeneration nicht. Ich bin aber so alt, dass ich reflexartig dachte, Rentner sollten auch mal sehen, wessen Behindertenparkplatz sie einfach nutzen, weil die Hühneraugen jucken, und man deshalb nah an den Einkaufsort muss. Schade! Dafür hat es dann doch nicht gereicht. Allerdings blieb mir der Reitsportverrückte Carsten Sostmeier von der ARD erspart. Ob der überhaupt die Pferdesportarten der Paralympics kommentierte, weiß ich nicht. Jedenfalls musste keine Dressurreiterin verbal durch den „Arc de Triomphe“ der goldenen Emotionen hopsen, wie Sostmeier einen deutschen Goldjungen bei Olympia 2024 kommentierte. Nun gut, wer es mag. Edda und ich haben ja MS. Da ist es nur verständlich, dass wir Ausschau halten nach Athlet*innen, die mit unserer neurologischen Krankheit auch mitmachen dürfen und sich qualifiziert haben. Zweifelsfrei konnten wir Dressurreiter*innen identifizieren.
Mit MSler*innen haben diejenigen, die Sportler*innen in die jeweiligen Behinderungsklassen einteilen müssen, ihre liebe Müh. Denn wer kennt es nicht! Selbst Neurolog*innen vermuten bisweilen Betrug, wenn man nicht normgerecht humpelt oder umfällt, obwohl das so gar nicht in den Richtlinien steht. Wie das funktioniert, weiß weder Edda noch ich. Dass man alles versucht, die Paralympics möglichst gerecht auszurichten, muss aber niemand in Frage stellen. Das war einmal anders.
Was haben uns, die wir unter allen möglichen Facetten von Behinderung leiden, die Paralympics 2024 gebracht? Auf jeden Fall Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit haben auch die Hersteller von Utensilien zur Ausübung von Spitzensport bekommen. Karbonorthesen, Rennmaschinen auf der Tartanbahn und vieles mehr gab es zu bestaunen. Mit meinem Sesselliegerad „Einhorn“ könnte ich da keinen Blumentopf gewinnen. Dressurreiten auf einem Esel wird auch nichts.
Nur was haben diese hightech Produkte mit der gesetzlichen Krankenkasse zu tun? Aus meiner Sicht nichts. Sie haben auch wenig mit unseren wenig attraktiven Alltagshilfsmitteln zu tun. Dennoch möchten Sportler*innen immer wieder ihre Sportgeräte von der Allgemeinheit finanziert bekommen. Sie gehen auch vor Gericht. Nur eigentlich ist der Auftrag der Krankenkassen klar. Er hat nichts mit Sport zutun. Mit einem Rollstuhl für Basketballer kannst du außerhalb der Halle nichts anfangen. Und wer nicht gerade von „Mad Max“ inspiriert ist, kann auch mit einem in einen Käfig geschweißten Rolli für Rugby nichts anfangen. Da müssen wir, so bitter ich das auch finde, die gute alte Kirche im Dorf lassen. Wir haben nicht Behinderten bei der Therapie zugeschaut, sondern Ausnahmeathlet*innen, die professionell auf höchstem Niveau ihrer Leidenschaft nachgehen. Eigentlich muss man nicht krank sein, um behindert zu sein. Umgekehrt wird eher ein Schuh draus. Bestimmte Behinderungen ziehen Erkrankungen nach sich und Krankheiten können eine Behinderung verursachen. Müssen sie aber nicht. Bei MS ist dieses Thema heikel.
Die Mehrheit der an MS erkrankten Menschen, hat statistisch nicht mit einer Behinderung zu rechnen; jedenfalls keiner, die der Gesetzgeber als solche rechtlich anerkennt.
Und darauf möchte ich hier nochmal deutlich hinweisen. Viele der Paralympioniken erfüllen diese Voraussetzungen nicht.
Wenn ich die Historie der Paralympics richtig verstanden habe, haben sich ursprünglich Rollstuhlfahrer*innen miteinander gemessen; initiiert von einem Neurologen. Und es handelte sich um Kriegsopfer. Diese fantastische Idee führte zu den nun vielfältigen Paralympics, die möglichst viele unterschiedlich eingeschränkte Menschen im sportlichen Vergleich zusammenführt.
Unser unterschenkelamputierter Weitspringer, der Gold gewann, wird sicher keine Gehbehinderung in einem Schwerbehindertenausweis anerkannt bekommen wollen.
Aber auch da rate ich bei der Einordnung zur Vorsicht. Wir wissen nicht, ob jemand Schmerzen hat, ob sich Entzündungen an den Amputationsstellen bilden und, und. Wie die psychische Belastung ist. Phantomschmerzen können unerträglich sein.
Das wichtigste, was wir aus den Spielen lernen können, ist, dass es Menschen gibt, die Höchstleistungen erbringen können, denen wir das womöglich nicht zutrauen. Niemand ist seine oder ihre Behinderung. Bei aller Kritik generieren die Paralympics eine gewaltige Aufmerksamkeit, die uns allen, ob gesund oder nicht, gut tut. Denn der überwiegende Teil der Behinderungen wird im Laufe des Lebens erworben und ist nicht angeboren.
Selbst Comedians erfahren derzeit die Wucht der Paralympics! Und das zu Recht!
Euer Ingenieur.