Folge 3/10: Was denn jetzt?!

Hallo Leude!

„Sprache ist eine Waffe“ sagte einst Kurt Tucholsky. Euch ist vielleicht noch der Spruch aus dem 19en Jahrhundert bekannt, der da heißt: „Die Feder ist mächtiger als das Schwert“.

Nun wissen wir alle, dass man vorsichtig sein sollte mit scharfen Waffen. Schnell hat man sich eine blutige Wunde eingefangen.

Neulich las ich, dass Kleinkinder ja unsere jetzige, männlich dominierte Sprache problemlos verstehen. Was wohl bedeuten soll, dass Kleinkinder gegenderte Sprache nicht verstehen würden.

Den jungen Leser*innen muss ich nicht erklären, dass Sprache, die nicht mit handfesten Dingen, wie Essen verbunden ist, überhaupt kein Kind bis zu einem gewissen Alter versteht, sondern lediglich nachplappert, was die Erwachsenen sagen. In welcher Sprache und wie komplex die jeweils ist, spielt dabei logischerweise gar keine Rolle, da Kinder nur phonetisch eine Sprache lernen, also durch das Artikulieren gleicher Sprachklänge wie die Erwachsenen es vorsprechen.

Wie komme ich darauf. Ganz einfach. Die wohl allerschlimmste Fachsprache, die es aus meiner Sicht gibt, ist das Beamtendeutsch. Man glaubt sie zu verstehen, da sie deutsche Worte benutzt. Dem ist aber definitiv nicht so. Meine Fachsprache hingegen muss niemand können. Diejenigen, die mit mir sprachen, hatten alle Elektrotechnik oder Physik studiert. Für andere ist die Sprache irrelevant.

Das ist bei Beamtendeutsch leider nicht so. Damit ähnelt sie dem Medizinischen. Gerade behindert werden wollende Menschen, werden sprachlich geradezu attackiert, mit dem, was aus juristischen Beamtenfedern auf sie einprasselt. Wir sprachen schon darüber, dass man nur „schwerbehindert“ ist, wenn eine soziale Institution des jeweiligen Landes das festgestellt hat. Natürlich sind die Sachbearbeitenden keine Ärzte! Das ist der erste große Irrtum aller Frischlinge. Auch eine Krankheit zu haben, sagt erst einmal nichts aus.

Liest man die Sozialgesetzbücher, wird klar, dass es nicht um Krankheit und Behinderung, sondern um Nachteilsausgleiche geht. Die verwendeten Worte sind juristische Fachbegriffe und dienen ausschließlich dazu, Nutznießende auszusortieren. Entweder du bist drin oder eben nicht. Wie du dich fühlst, ist dabei völlig egal. Frei nach meinem Lieblings Zyniker „Dr. House“ aus der gleichnamigen Serie. „Alle Patienten lügen!“ Alle Antragstellenden lügen!

Das ist das Motto des Staates, wenn er Forderungen beurteilen will. Jeder lügt und ihr müsst das Gegenteil beweisen. Nix mit Unschuldsvermutung! Ihr wollt was!

Besiegelt wird das Ganze letztlich mit einem Ausweis. Damit wenigstens einige in den Genuss der Nachteilsausgleiche kommen, schwächt man die Schwerbehinderung in einem kruden System von Graden nach unten ab. Dann kriegt man weniger. Das hat weder was mit Mathe zutun, noch ist man bereit, überhaupt zu erklären, wie die Einordnung genau funktioniert. Eines ist sicher. Über die vielen Jahre seit den 70ern ist es immer, immer schwerer geworden, schwerbehindert zu werden.

Was aber passiert, wenn diese juristische Wortwelt auf Medien und vor allem auf uns trifft? Plötzlich ist Behinderung nicht mehr juristisch sondern gesellschaftlich. Ein Gefühl! Wir diskutieren über Diskriminierung, Stigmatisierung und darüber, was man sagen darf und was nicht.

Nun hatte mir unsere Gästin Despina Sivitanides erzählt, ein Student habe sie verbal angegriffen, weil Despina darauf bestand,  behindert zu sein und nicht von sich behauptet hat, sie sei „beeinträchtigt“. Das sei stigmatisierend und diskriminierend.

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Bevor ich weitermache, möchte ich alle von Geburt an schwerbehinderten Menschen ausdrücklich aus dieser Diskussion heraushalten, da für sie eine ganz andere Betrachtungsweise relevant ist. Sie kämpfen per Existenz mit Ablehnung und Diskriminierung. Der Unterschied zwischen durch Krankheit erworbener Behinderung und bei Geburt vorliegender Behinderung ist so groß, dass ich der Meinung bin, man sollte die Situation der Menschen separat betrachten.

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Also sorry, Leude. Natürlich ist Despina schwer beeinträchtigt! Genauso, wie Edda und ich beeinträchtigt sind. Aber! Wir drei gehören auch zum erlesenen Kreis der Nachteilsausgleichsempfangenden. Was für eine Wortkreation? Die versteht sicher jedes Kleinkind; natürlich nur im Maskulin. Was glauben denn die Sprachspezialisten, mit was wir drei uns in den ganzen Jahren immer wieder beschäftigen mussten? Ein Tipp! Beeinträchtigung stand in keinem Ablehnungsschreiben eines Sozialträgers. Das Zeug ist eine Fachsprache, wie alles, was Beamte in die Tasten hauen. Das sollten wir immer im Hinterkopf haben! Wenn du endlich den Ausweis hast, wenn du endlich als so kaputt anerkannt wirst, dass du einen Anspruch auf ein verbilligtes Bahnticket hast oder auf einen Schwerbehindertenparkplatz, dann, ja dann fällt dir nicht gleich die kleine Schwester von Behinderung ein. „Beeinträchtigung“. Alle schwerbehinderten Menschen sind definitiv beeinträchtigt, aber nicht alle beeinträchtigten Menschen sind behindert. Ist so! Wen das stört, wer meint die Wortwahl „behindert“ sei diskriminierend, möge nicht uns das erzählen, sondern den Worterfinder*innen aus dem Beamtenstadel und der Politik.

Als es mir richtig schlecht ging, fand ich für mich „Krüppel“ am treffendsten, um meinen Zustand zu beschreiben. Dabei fragte ich mich: „Kann man sich eigentlich selbst diskriminieren?“ Mir fiele es nicht im Traum ein, irgendwen Schwerbehinderte oder Beeinträchtigter zu nennen. Noch müssen wir den Ausweis nicht offen an der Kleidung tragen. Nur weil jemand ne Krücke benutzt, einen Rollator, ja selbst einen Rollstuhl, ist die Person nicht gleich schwerbehindert. Einer Rollifahrerin sieht man doch nicht an, ob sie schon länger als der gesetzlich vorgeschriebene Zeitraum „dauerhaft“ auf diesen Rolli angewiesen ist. Dauerhaft Leude! Nicht, weil du dir den Knöchel verstaucht hast. Und dann wird ständig nachgeprüft, ob du irgendwann wieder aussteigen kannst. Und Zack! Schon bist du nicht mehr schwerbehindert! Das deine Krankheit unheilbar ist, ist egal! Ausweis futsch! Ob du dann noch beeinträchtigt bist? Tja! Das interessiert den Amtsschimmel überhaupt nicht!

Manchmal hatte ich das Gefühl, Sachbearbeitende glaubten, ich hätte mir extra ne Schwerbehinderung eingefangen, wie ne Erkältung, weil es dafür ja was zu holen gibt.

Liebe Sachbearbeiter*innen dort draußen: „Schwerbehinderung ist nicht wirklich erstrebenswert! Das könnt ihr mir ruhig glauben!“ Wenn man dann aber zum erlesen Kreis gehört, darf man sicher auch sagen, was ihr euch ausgedacht habt. Sollten wir zum Vorgänger „Krüppel“ zurückkehren, gefällt mir das nicht, aber dann bin ich eben ein Krüppel. Für mich macht das eigentlich keinen Unterschied.

Euer Ingenieur

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