Hallo, Leude!
Bestimmte Themen brauchen etwas mehr Zeit als 30 Minuten. Unsere Neurologen haben definitiv mehr als 30 Minuten verdient.
Kennt ihr das? Ihr denkt an irgendetwas zurück, und dann versteht ihr plötzlich nicht mehr, wie ihr damals so denken konntet. Mir ging es in der Vorbereitung zur Folge über Neurologen so. Ja, ich gebe alles zu! Ich wusste nicht, was ein Neurologe sein sollte 1992. Warum das so war, habe ich jetzt 33 Jahre später verstanden. Besser spät als nie, oder?
War ich ein Volldepp? Mit 29, kerngesund, frisch in den Beruf gestartet, für den man ewig ausgebildet wurde und studiert hatte. Unser erstes Kind konnte plötzlich laufen. Nach all den Prüfungen, die ich absolviert hatte, hatte ich den Rand voll. Aber sowas von! Alles schien gut!
Und dann sagte ein Orthopäde, die einzige Art Facharzt, die ich persönlich kannte: „Gehen Sie mal zum Neurologen, ich bin hier durch!“ Wie, er ist durch? Und wieso muss ich jetzt mit ner Sportverletzung zum Psycho? So war das damals. Für mich war „Neurologe“ logischerweise das Fremdwort für „Nervenarzt“. Also einer mit Sofa, der gelangweilt zuhörte und ab und zu Belegbetten nutzte, um armen Tröpfen was aus dem Schädel zu schneiden.
Leude, es gab kein Internet! Man hatte eine Handvoll Sender im Fernsehen und war frisch traumatisiert von der Schwarzwaldklinik. MS war für den Tatort im Ersten noch gar nicht entdeckt. Da hatten Rollstuhlfahrende in Serien noch anständige Autounfälle und nicht komische Krankheiten im Kopf. Psychopathen ja, die gab es, aber Nervenerkrankte? Nein! Was sollte das sein? Und dann sah ich das erste Mal eine Zeitung, die hieß „Der Nervenarzt“. Neurologen hatten keine Zeitschriften.
Heute ist mir das klar. Der Beruf des Neurologen war ja gerade erst ohne Psyche erfunden worden. Da bist du als frischer Patient mit 29 nicht immer auf dem Laufenden. Im Studium glaubte ich zwar von Semester zu Semester, dass ich irre würde, aber Löcher im Kopf als Folge davon, konnte ich nicht glauben.
Offenbar waren sich die Spezialisten, die sich mit der Hardware (Nerven, Hirn) und der Software (Bewusstsein, Kognition) beschäftigten, nicht grün. Das nennt man Berufspolitik. Offenbar wollte eine Gruppe auch deutlich mehr Geld als die andere. Das begann schon im 19ten Jahrhundert. Im 20ten setzten sich dann die Spalter durch und gründeten eigene Berufsstände. Angeblich, weil die Medizin wissenschaftliche Fortschritte gemacht hatte. Sagt meine KI! Na ja. Lach-emoji!
In meinem Beruf als Ingenieur hat man Spezialisierungen auch mit wissenschaftlichem Fortschritt begründet. Wer böses denkt, könnte meinen, man wollte billige Fachidioten, statt teure, gut ausgebildete Ingenieure. Hat super geklappt! Als ich mich mal in einer Firma für eine leitende Stelle in der Entwicklung bewarb, sagte mir der Bereichsleiter, deutlich jünger als ich: „Die 5-Volt- Ingenieure lassen wir doch nicht an was ran, wo Strom fließt. Die bringen sich um!“ Da passte ich schon nicht mehr in die fortschrittliche Welt der Fachspezialisten. Ich hatte immer Maschinenbau, Schaltschrank-Bau, Programmierung und Elektronikentwicklung mit Kollegen zusammen gemacht, die natürlich alles konnten. Und selbstverständlich musste ich auch noch das verstehen, was man mit meinen Geräten tat; Strahlentechnologie. Eine verrückte Zeit war das damals.
Das Ergebnis können wir überall in der Wirtschaft beobachten. Und bei den Ärzten? Ja, da natürlich auch! Offenbar waren die Neurologen die Loser, wie die Elektroingenieure, die was mit Strom machten. Deshalb verdienen Psychiater 25% mehr als Neurologen. Und natürlich sind die programmierenden Nerds aus dem Silicon Valley die Stars. Was mit Strom ist so old school und beschissen bezahlt.
Nun gibt es einen entscheidenden Unterschied in diesem Vergleich, der nicht sofort auffällt. Patienten kommen selten ohne Bewusstsein zum Neurologen und geben ihr Gehirn ab. Meine Geräte haben nicht mir gesprochen und konnten auch nicht weglaufen. Patient*innen unterscheiden sich doch von komplexen Geräten. Deshalb halte ich persönlich diesen rein wegen Kohle ausgetragenen Berufs-Clash, für komplett idiotisch und Patienten schädigend. Allerdings weiß ich nun nach so vielen Jahren, warum Neurologen so unfassbar hölzern im Umgang mit Patient*innen sein können. Meine redeten über Medis, Löcher im Kopf und Leitgeschwindigkeiten, von denen ich mehr Ahnung hatte als sie. Mich interessierten aber keine Bilder von tollen Maschinen gemacht, von denen ich wusste, wie sie funktionieren, mein Neurologe natürlich nicht. Ärzte sind nicht gerade Mathe-Fans.
Ist das sinnvoll, dass dein Neurologe dich zum Psychotherapeuten überweist, bei dem du dann sechs Monate später einen Termin hast, weil der Neuro so ungern den psychischen Teil der Ausbildung gemacht hat? Für mich definitiv nicht. Das scheinen viele Studierende auch so zu sehen und studieren nun aufwendiger und noch länger Neurologie und Psychiatrie. Super! Dann hast du sogar zwei Doktortitel auf der Visitenkarte. Super!
Meine KI sagte mir, es gäbe Bestrebungen die Trennung von Geist und Körper wieder aufzuheben. War da nicht was mit Körper und Seele? Wer hat’s erfunden? Genau, die waren das.
Euer Ingenieur