Hallo, Leude!
Hat euch eigentlich schon einmal jemand versprochen, dass es endlich ein Heilmittel für eure Krankheit gibt? Nein? Das ist ungewöhnlich.
Als Dinosaurier unter den MS-Betroffenen begegne ich quasi jährlich Heilsversprechen aus den Medien. Dabei haben Ärzte genauso wie Wunderheiler, Heilpraktiker, Experten (wer immer die auch sind) und neuerdings „Coaches“ die Lösung für all unsere Probleme.
Und, seid ihr geheilt?
Edda und ich haben, nicht ganz ohne Ironie, unsere Erfahrungen ausgetauscht, wobei meine Erfahrung mit dem mietbaren klinischen Versuch in Kliniken selbst Edda unbekannt war. Wenn jemand einen Heilversuch zu irgendetwas im klinischen Bereich machen will, muss diese Person natürlich medizinische Kompetenz in Form eines Titels nachweisen. Also der Wünschelrutengänger, der auch fehlgeleitete Immunzellen mit ’ner Miniwünschelrute aufspürt, kommt nicht in Frage.
Aber! Es ist durchaus legitim, dass Prof. Dr. Hast-Du-Nicht-Gesehen auf Wünschelruten schwört. Wie unterscheiden wir zwischen den faulen Äpfeln und den leckeren, saftigen Äpfeln?
„Das ist doch total einfach! Hast du keinen gesunden Menschenverstand? Dir kann man auch alles erzählen!“
Diese tiefgründige Antwort habe ich tatsächlich gehört, als klar wurde, dass der Urologe, der einen Heilversuch im hiesigen Krankenhaus für lächerliche drei Monatsgehälter anbot, doch bei Blasenuntersuchungen hätte bleiben sollen. Der hatte sogar zwei Doktortitel!
Im sozialen Netzwerk machen Coaches aus diesem Umstand mit umgekehrter Logik den einfachen Slogan „Heilung zu können!“ Weil ja Ärzte nicht heilen können oder Psychiater, können es Coaches, wenn sie sich berufen fühlen.
Wer jetzt denkt: „Das ist aber unlogisch!“, hat absolut Recht. Man nennt es Bullshit! Bitte nicht falsch verstehen! Es kann absolut heilsam sein, sich im Wald mit einer zweihundert Jahre alten Eiche zu unterhalten. Dabei seine Wut und seine Angst herauszuschreien, ist nicht falsch und ganz sicher befreiend. Leude, ich spreche aus Erfahrung. Nur hat mir die Eiche dafür nichts berechnet, und sie hat mir auch nichts versprochen oder angeboten. Sie steht da einfach immer noch.
Machen wir uns nichts vor. Man kann gar nicht so rational sein, dass man Scharlatanen und Heilsversprechenden niemals auf den Leim geht, wenn man extremen Leidensdruck hat.
Mein Psychologe meinte in der Steinzeit zu mir, ich sei so rational, das hätte er noch nie erlebt, und ich solle mal die eine Gehirnhälfte einschalten und die andere aus. Und ja, ich bin auch schon Leuten auf den Leim gegangen. Allerdings promovierten Ärzten! Zum Glück konnte ich tatsächlich meine zweite Gehirnhälfte in Wallung bringen. Der Psychologe war übrigens der absolute Reinfall, denn ich bin der Meinung, daß mein Gehirn insgesamt ganz sinnvoll ist. Aber für diesen Satz, den er mir damals sagte, und der mich irre aufgeregt hat, bin ich noch heute sehr dankbar. Dieser Satz bewirkte etwas völlig anderes, als mir der Psychologe beipulen wollte. Aber das ist das Schöne an Fachmeinungen. Auch die, die überhaupt nicht passen, können uns helfen.
Es sollten nur Fachmeinungen sein, die aus wissenschaftlichen Überlegungen entstanden sind! Experten sind übrigens heutzutage alle, die in ein Handy tippen können. Fachleute sind immer noch Fachleute. Sie haben einen Beruf, zu dem sie berufen wurden. Man kann sich zusätzlich auch berufen fühlen. Nur gibt es nicht ohne Grund Berufsregeln. Das Berufsrecht, das sich Ärzte in Deutschland gegeben haben, ist übrigens gerade einmal etwas über 60 Jahre alt!
Es gab erst die „Selbstberufenen“ und später die Berufe, wie wir sie heute kennen! Das nennt man Fortschritt. Vielleicht gibt es irgendwann eine Coaches-Kammer und eine Lobbyisten-Kammer. Solange das nicht so ist, sind das alles keine Berufe! Bedenkt immer, daß wir mit der Diagnosenstellung potentielle Kunden geworden sind!
Euer Ingenieur!