
Hallo, Leude!
Um etwas wirklich konsequent und nachhaltig – ich liebe dieses Wort – zu tun, ja, was muss Frau dazu umsetzen? Diese Frage treibt die Nationen zu nahezu jedem Thema um. Die Wirtschaft braucht immer Anreize, also unser Geld. Was könnte ihr außer Geld ein Anreiz sein, etwas aktiv zu tun?
Die Medienbranche rief mit großem Erfolg den Slogan „GEIZ ist geil!“ aus. Geilheit wäre mir zu diesem Zeitpunkt in Verbindung mit Saturnprodukten nicht eingefallen, aber ich bin auch ein Dino.
Geiz, also die Eigenschaft, nichts für irgendetwas auszugeben als Werbegag zum haltlosen Konsummieren umzudeuten, war schon ein richtig cooler Clou.
Sparen ist ja heutzutage auch Geld verschwenden für etwas, das günstiger ist, als etwas anderes. Ich bekam mit 12 mein Sparbuch und war stolz, wenn sich ein paar Mark um Pfennige wie von Zauberhand vermehrten. Das waren Zeiten!
Beobachten, wenn sich etwas vermehrt, egal wie langsam, reichte für einen kleinen Jungen. Damals verdiente Uwe Seeler aber auch nicht wie die Rockefellers, und untalentierte Fussballkids glaubten nicht, der neue Messi zu werden. Wie kann man die wunderbar funktionierenden Mechanismen des Konsumierens ohne Reue bis in die Pleite nutzen, um sich den Hintern bei der Physiotherapie abzuarbeiten?
Das hat wohl was mit Erwartungen zu tun, denke ich. „Ja, aber du kannst doch gesund werden, oder?“, könnte ein gewichtiger Grund für unheilbar Kranke sein. Aber da stehen die Medizinierenden mit dem Stempel „unheilbar“, den sie dir direkt nach der Diagnose auf die Stirn geballert haben, plötzlich auf der falschen Seite. Die Esoterik und die Lottospielenden halten die Eventualmöglichkeit auf das Unmögliche aufrecht. Da geht doch noch was!
Ehrlichkeit zahlt sich offensichtlich nicht aus. Geiz ist geil, und jeder, der unfallfrei einen Tennisschläger halten kann, wird ein Boris Becker. Ne, das ist jetzt ein schlechtes Beispiel, ich meine Rafael Nadal. Der ist auch noch total integer und nett und super reich und …
Wenn der das kann, kann das jeder. Diese umgekehrte Logik lässt sich leicht in den Kopf pflanzen. Nur möchte niemand hören, wie hart ein Becker oder Nadal dafür trainieren mussten und wie wenig Menschen trotz Talent und Training und erwartetem Reichtum am Ende das ersehnte Ziel erreichen.
„Wie hast du das nur geschafft?“, fragen sie mich und sehen mich, wie ich jetzt bin, der Dirk-Rafael -Nadal der Kaputten.
Wie lange die jeweiligen Stufen zum relativ normalen Stehen beispielsweise ohne umzufallen, gedauert haben, sieht niemand und möchte auch definitiv niemand wissen. In unserer schönen Medienwelt muss alles sofort passieren. Da gibt es keinen Platz für Babyschritte. Amazon schickt doch auch gleich morgen.
Blöd, dass das neurologische System des Menschen zwar unfassbar besser von selbst funktioniert, als alles von Menschenhand Gemachte es je könnte, aber Zeit kennt es definitiv nicht. Es schert sich nicht um Zeit und Erwartungen. Es lässt sich super schnell reizen, nur welche Anreize braucht es, sich wieder zu erholen. Oder geht das gar nicht, wie uns die Medizinierenden sagen?
Bei mir ging es. Mein Vater ist auch Kunde bei meinem langjährigen Ex-Neurologen. Mein Vater hat auch was Neurologisches. Erstaunlicherweise konnte sich Neurologe an mich erinnern und fragte, wie es mir so ginge. Wenn es etwas gibt, das unsere gesamte Mischpoke auszeichnet, ist es die überbordende Übertreibung. Was mein Vater genau über meine neuen Superkräfte erzählt hat, ist nicht überliefert. Der Experte reagierte jedenfalls milde lächelnd, dass das nun gar nicht sein könnte. Mein Vater ist zwar fast blind mit seinen nahezu 97 Lenzen tüdelig, aber dass er träumt, wie ich mich auf ein Zweirad begebe und losfahre, wollte er nicht glauben. Was nicht sein darf, ist nicht so. Deshalb gehe ich übrigens auch nicht mehr zum Arzt.
Ihr könnt euch überhaupt nicht vorstellen, was ich erzählen muss, um mich für meinen besseren Zustand zu rechtfertigen. Wahnsinn! Erst kriegst du keine Hilfsmittel, wenn es dir richtig schlecht geht, weil du angeblich noch alles kannst, und wenn du dann nach vielen Jahren im Rolli den Schrott in die hinterste Ecke der Garage verfrachten lässt, musst du dich dafür rechtfertigen, dass du nicht mehr an den Rolli gefesselt bist. Und das auch noch bei den Medizinierenden! Das ist wahrlich schräg.
Jetzt wollt ihr zum Schluss sicher wissen, was mein Anreiz für jahrelanges Quälen im Dreirad, Runterfallen vom Zweirad und anhaltende Schmerzen war. Die Liebe zum Sport war es nicht. Jedenfalls nicht generell. Edda sagte mir nach der Podcastfolge, als ich sie fragte, ob ihr Anreiz das Klavierspiel sein könnte. „Einfach nur Klavierspielen fand ich mit 12 klasse!“ Genau das ist das Problem. Entwickeln und Erfinden für die Schublade ist hohl und Klavierspielen und kreativ sein, ohne es zu präsentieren, ist genauso hohl.
Ich liebte das Tischtennisspiel. Die spielerische Komponente und die Herausforderung, sich in der Liga zu messen. Ich spiele nicht mit einem Tischtennisroboter, und Radfahren ist so mit die übelst langweiligste Weise Sport zu treiben, die ich mir vorstellen konnte. Joggen ist noch schlimmer. Und Muckibude …
Aber „Hauptsache gesund“. Ne! Der Anreiz funktioniert definitiv nicht. Das wissen Krankenkassenvertreter*innen und Pharmaverantwortliche schon immer. Sie geben es nur nicht zu, aber sie wissen es.
Meine Idee war es, eine Sucht zu wecken. Das Wie musste auf meinen Charakter abgestimmt sein. Etwas, was ich nicht nutze, macht mich irre! Ich höre nicht auf, bevor etwas funktioniert, egal wie lange es dauert. Ich musste mir Zufriedenheit mühsam erarbeiten. Jeder Arbeitgeber liebt Idioten wie mich. Ein Entwickler muss so ticken, damit er erfolgreich sein kann.
Also kaufte ich mir erst ein schweineteures Dreirad, in das ich erst nach drei Monaten Übung steigen konnte und ein ebenso teures Zweirad später, auf das ich nicht aufsteigen konnte. Es trieb mich übel es immer wieder zu versuchen, weil die Räder so teuer waren. Das war mein Trick, mein Anreiz. Glaubt mir, das funktioniert bei den Wenigsten so. Ihr müsst eure eigene Suchtperspektive erarbeiten.
Irgendwann merkte ich, dass ich am kreativsten beim stupiden Radeln war. Und nach Jahren war ich endlich süchtig nach Radfahren!
Ende gut, alles gut! Fast. Corona hat uns gezeigt, dass Gewohnheit, ja sogar Sucht, ganz schnell verfliegen kann. Wenn sie euch ständig erzählen, dass man Sucht nicht wieder los wird, glaubt man auch das.
Im Winter wird meine Sucht ständig auf eine harte Probe gestellt. Meine Beine können schon nach wenigen Tagen ohne Training nur noch spastisch wehtun, statt mich Kilometer weit durch die Gegend zu strampeln. Irgendwann habe ich die Angst, wieder im Rolli zu landen, auch nicht mehr gehabt. Ich glaube, ich muss mir bald ein unglaublich teures Rennrad ohne Motor kaufen, mit dem ich wieder sofort umfalle!
Euer Ingenieur