Folge 3/4: Das Gute im Schlechten

Hallo Leude!

Ein Podcast ohne Gäste kann schon mal Schmoren im eigenen Saft bedeuten, ohne ein super durchgezogenes, leckeres Gulasch zu werden. Es zerkocht sich. Um dem vorzubeugen, suchen wir überall nach neuem Input. Diese Initiative geht aber immer von uns aus. Wir stoßen darauf, was uns interessiert, weil wir nun einmal wir sind.

Da wir doch sehr unterschiedliche Interessen haben trägt es. Dennoch sind wir beide krank, wir ähneln uns sehr in den Bewältigungsstrategien und im Willen den Humor nicht zu verlieren.

Kurzum: wir brauchen Gästinnen!

Diesmal haben wir den Gästinnen-Jackpot geschossen. Denn Susanne Matthiessen, unsere Gästin, ist eine sehr bekannte Autorin und Journalistin. Also ein Profi im Medienbusiness.

Leude, ich war wirklich nervös vorher! Was würde sie mich fragen? Und was, wenn ich keine Antworten hätte, oder nur Gestammel aus mir herauskommt? Das hat mich tatsächlich das erste Mal beschäftigt, seit Edda und ich den Podcast machen.

Es ist natürlich, wie eigentlich immer in einem solchen Fall, gerade kein Problem gewesen, weil Susanne ein absoluter Profi vom Fach ist.

Das Gegenteil trat ein. Allerdings musste ich richtig nachdenken, als Fragen aus dem quasi gesunden Außen in unsere kleine, kuschelige Gedankenwelt traten. Selbst Edda, mit allen Wassern gewaschene Medienerfahrene im Ruhestand, verschlug es manchmal die Sprache. Oder besser ausgedrückt, wir mussten darüber nachdenken, was wir antworten sollten.

Wir leben in einer Zeit, in der jedes Zaudern ein Zeichen von Schwäche ist. Ich empfinde es im Nachhinein als besonders bereichernd. Denn was sagt es über die Fragen aus, wenn du keine Sekunde nachdenken musst, um sie zu beantworten. Wir wussten selbstverständlich überhaupt nicht, was Susanne Matthiessen uns fragen würde. Eine Situation, der sich kein aktuell im Wahlkampf befindlicher Politiker oder eine Politikerin aussetzen würde.

Selbst wenn sie grob wissen, was sie gefragt werden, antworten sie nicht. Das nervt mich unglaublich, zumal die rhetorische Raffinesse der gerade ringenden Kandidaten Scholz und Merz eher begrenzt erscheint, was dann nicht einmal unterhaltenden Charakter entwickelt.

Edda und ich dürfen zugeben, dass wir nicht auf jede Frage eine Antwort haben. Da geht es nicht darum, dass wir etwas nicht wissen. Man muss sich mit einem Thema beschäftigen, um etwas Vernünftiges dazu beitragen zu können. Das geht eben nicht innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde. Manchmal muss man sogar ein paar Tage darüber nachdenken, und mit sich ringen. Nicht immer kommt man dann am Ende zu einer unverbrüchlichen Meinung.

Meine „Worst-Case-Frage“ durfte natürlich nicht fehlen und sie traf mich total unvorbereitet.

Es ging um „Krankheit als Chance“! Zu diesem Thema könnte ich mich mit Susanne Matthiessen, da bin ich sehr sicher, stundenlang austauschen.

Als die Frage dann im Raum stand, hatte ich gerade davon erzählt, dass ich mich tatsächlich charakterlich verändert habe mit der Krankheit. Aus meiner Sicht und besonders der Meinung meiner Frau nach, zum Besseren. Die hatte mir, es ist schon Jahre her, einmal gesagt, dass wir sicher nicht mehr verheiratet wären, wenn ich so geblieben wäre, wie ich gesund einmal war.

Und wisst ihr was? Sie hatte absolut Recht.

Was hat es also mit „Krankheit als Chance“ auf sich? Im Gesprächszusammenhang konnte ich Susanne Matthiessens Frage durchaus positiv beantworten. Aber ausschließlich in diesem Zusammenhang! Denn der setzt voraus, dass ich schon ganz jung unheilbar an einer Krankheit erkrankt bin, die ich jetzt über 40 Jahre habe. Wer soll denn der gesunde Dirk gewesen sein? Ein Typ, der gerade mal 20 war, gern Sport machte und beschloss etwas zu studieren, von dem er nicht die geringste Ahnung hatte. Mein Berufsleben ist heute schon beendet.

Was löst aber „Krankheit als Chance“ in gesunden Menschen aus? Es kann ja nicht die Vorstellung sein, dass es mit MS und einem tollen Charakter besser ist als ohne MS? Warum? Weil niemand weiß, ob der 20 jährige, karrieregeile Dirk nicht gesund auch davon abgelassen hätte. Diese Möglichkeit wird grundsätzlich unterschlagen. Und was ist mit denjenigen, die die Chance nicht ergriffen haben oder sie nicht ergreifen konnten?

Das ist die eigentlich spannende Frage, die esoterische Verführer wie Rüdiger Dahlke, der das mit Krankheit als Chance zum Buchtitel nutzt und meine Vorstellung ins Gegenteil verdreht.

In und mit einer Krankheit hat man immer die Chance, wenn nicht sogar den Auftrag, sich ihrer Macht zu stellen, will man nicht aufgefressen werden. Die Dahlkes machen aber genau das Entgegengesetzte daraus und suggerieren, Krankheit hätte etwas Gutes. Das entspricht aus meiner Sicht der völlig irren Logik eines Rudolf Steiner, der Zerstörung von Körperzellen als Reinungsprozess umdefiniert. Leude, ich habe sehr große Löcher in meinem Gehirn, die ich mir auf unterschiedlichen Bildern anschauen kann. Da gibt es nichts zu beschönigen. Es fehlt Hirnmasse. Das ist keine Chance. Das ist echt Kacke. Denn ich spüre jede einzelne Sekunde, dass es schön gewesen wäre, wenn da noch Gehirnzellen wären.

Wenn sie dir ein Bein abhacken ist eine Titanprothese definitiv die zweitbeste Lösung. Und niemand, der ein gesundes Bein hat, würde es sich abhacken, weil ihm irgendwer erzählt, man könne möglicherweise mit einer Prothese schneller laufen. Und das ist kein Scherz. Die Diskussion wurde im Fall Pistorius, dem Sprinter mit Unterschenkelprothesen, tatsächlich geführt.

So ein Mist entsteht durch die Dahlkes und die Steiners. Man entscheidet sich nicht für eine Krankheit. Chancen nimmt man aber wahr oder nicht. Für Chancen braucht es zu allererst wählbare Alternativen. Da werden zwei Gedankenkonzepte kombiniert, die nichts miteinander zutun haben. Das eine ist ein Wahlmöglichkeit. Das andere nennt man „Shit Happens“.

Das möchte ich hier hervorheben. Wenn man krank geworden ist, kann und muss man sich arrangieren, was durchaus positive psychische Auswirkungen haben kann. Die gibt es aber nicht, wenn man nicht vorher das unfassbar seltene Pech hatte, an einer so seltenen, so zermürbenden, unheilbaren Krankheit, wie MS zu erkranken.

Die Chance sucht man sich nicht aus, sie ist statistisch unwahrscheinlich eingetroffen. Eddas Verlauf ist so unfassbar selten, dass man besser keinen Gedanken daran verschwendet, danach zu fragen: „Warum ich?“ Und ich bin ein Mann. Das macht 33% von unwahrscheinlich. Zu den Schwerstbetroffenen zu gehören, ergibt nochmal nur 20% davon was an Unwahrscheinlichkeit bleibt.

Leude, das ist ist alles statistisch und irrelevant. Denn Edda und ich haben uns auch noch kennengelernt und machen zusammen diesen Podcast. Das hat keinen Dahlke-Sinn oder eine Steiner-Logik. Diese Leute agieren komplett unlogisch und konstruieren komplett aus der Luft gegriffene Verbindungen. Wer sich mit Dahlkes meditativer Stimme von CD besser fühlt, so what! Aber seine Botschaften sind gefährlicher Unsinn, von denen nur einer profitiert; Dahlke.

Die Quintessenz daraus ist nämlich immer: „So schlimm wird die Krankheit nicht sein! Und sind die Kranken nicht selber Schuld?“ Weil du ja deine Chance nicht genutzt hast. Das mit der Schuld ist auch so ein Konzept, das gern von Verführenden verwendet wird.

Bei Krankheit gibt es tatsächlich das Gute im Schlechten. Davon bin ich überzeugt. Dazu muss man akzeptiert haben, dass man maximal lebensverändernd Pech hatte. Und dann, nur dann, kann man immer noch ein zufriedenes Leben führen, indem man die Herausforderung irgendwie bewältigt.

Ich weiß, dass Susanne Matthiessen genau das im Sinn hatte, als sie mich fragte, ob Krankheit dann auch als Chance begriffen werden könnte, denn ich bin ja unheilbar krank. Und deshalb habe ich die Frage mit ja beantwortet!

Euer Ingenieur!

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