Der Tag nach der Diagnose einer chronischen Krankheit. Woran erinnert ihr euch noch? Ich erinnere mich nur noch an Einzelheiten. Schlaglichter. Der Rest ist Nebel. Das Arztgespräch brachte mir wenig Neues, da ich selbst schon den Verdacht hatte, worauf es hinauslaufen würde. Beim Arztgespräch hätte ich wohl trotzdem besser mitschreiben sollen.
Too much information.
Das Ausmaß der Diagnose war für mich gar nicht sichtbar. Das hat Wochen, wenn nicht sogar Monate gedauert. Und während ich noch unter dieser „Käseglocke“ war, sollte ich auf einmal lauter wichtige Entscheidungen treffen.
Welches Medikament würde ich für womöglich den Rest meines Lebens wählen, würde ich meinen Beruf weiter ausüben können, käme ich in meinem alten Zuhause noch zurecht, und, wenn ja, wie?
Fragen über Fragen.
Wie würden Familie und Freunde reagieren, was erwarteten sie von mir?
Ich persönlich habe mich sofort für eine Reha entschieden.
Weg von allem, durchatmen und den Kurs „Profi-Patient in 21 Tagen“ belegen. In so einer Reha hat man alles an einem Ort: Alle möglichen Behandlungen (von Physiotherapie bis Psychotherapie), aber auch Hilfe, was Amtliches und Berufliches angeht. Das ganze Paket eben. Mir hat es geholfen und gutgetan. Ob das bei Jedem so ist, sei dahingestellt.
Sicherlich ist eine Reha eine Art Lummerland.
Alles ist barrierefrei, es wird für mich geputzt, gekocht und der Tag strukturiert. Genau das gibt die Ruhe, sich auf die wichtigen Dinge zu konzentrieren.
Wie ging das mit dem Laufen nochmal? Und dem Aufstehen? Beim Laufen nach vorne gucken, nicht auf den Boden. Welche Worte sollte ich mir für die Neuropsychologin nochmal merken? Alles sowas.
Wer allerdings glaubt, damit wäre auch „auf freier Wildbahn“ alles klar, der irrt.
Keine Therapeuten mehr, Kopfsteinpflaster, hohe Bürgersteig-Kanten, das ist alles wirklich anders und auf einmal schwierig.
Man ist nun umgeben von Menschen, die die Krankheit nicht verstehen, oder sie gar nicht kennen. Warum kann ich heute laufen, morgen aber nicht? Warum bin ich auf einmal vergesslich und ständig müde?
Und jetzt ist es an mir, das zu erklären, dabei verstehe ich mich selbst doch auch nicht mehr.
Eine klassische Anpassungsstörung. Auf allen Seiten. So muss es aber nicht bleiben. Das Zauberwort heisst „Krankheitsverarbeitung“ (Coping). Die Krankheit annehmen, akzeptieren. Ob mir das schon in Gänze gelungen ist? Ich glaube, nicht. Wie soll das auch gehen, wo sich diese Krankheit immer wieder so wandelt. Ich glaube, damit werde ich noch mein ganzes Patientenleben beschäftigt sein. Aber ich bin schon ein großes Stück des Weges gegangen und werde ihn nicht verlassen. Das bin ich mir schuldig.
„The Day After“ ist längst vorbei, und das Leben danach noch lange nicht.