
Hallo Leude.
Ich traue mich fast nicht, diese Kolumne zu schreiben. Es kommt mehrmals das Wort „Gender“ vor. Und das bringt viele Männer auf die Palme und spaltet die Gemüter. Keine Angst! Es geht nicht um das sprachliche Gendern. Es geht um Mann und Frau aus Sicht der Medizin. Von mehr will ich gar nicht anfangen, denn zwei in Teilen möglicherweise unterschiedliche Menschenwesen reichen völlig, um die krude Vorgehensweise von Medizin zu betrachten.
Ich sollte ja, wenn es nach meiner Mutter – hallo Mama da oben – gegangen wäre, ein Mädchen werden. Das hat bekanntlich nicht geklappt. Abwaschen und Hausarbeiten musste ich dennoch machen. Ob Eltern durch intensive Wünsche, die Genetik ihres Nachwuchses beeinflussen können, glaube ich zwar nicht, trotzdem wurde ich mit einer ausgesprochenen Frauenkrankheit bedacht. Schicksal, Strafe? Ich weiß es nicht.
Zweidrittel der an MS erkrankten Menschen sind Frauen. Ich gehöre also zur Minderheit in der absoluten Minderheit. Wie alles im Leben hat das Schlechte für mich auch vorteilhafte Konsequenzen gehabt. Ich habe die richtige Dosierung der Medikamente erhalten. Also nicht ganz richtig, da ich nicht der 70 Kilogramm medizinische Normmann bin, aber wenigstens Mann.
Ihr denkt bestimmt jetzt, was erzählt der da? Im Folgenden möchte ich meine scheinbar wirren Gedanken näher erläutern. Zum Teil weiß ich um die sehr spezielle Auslegung von Menschsein in der Medizin durch meine sehr umtriebige langjährige Hausärztin. Vor 25 Jahren schockte mich die Aufklärung über Symptome von Depression bei Männern noch massiv. Die können sich nämlich völlig anders äußern als bei Frauen.
So war ich also damals schon bei dem Thema Frauenmedizin angekommen; mit einer Frauenkrankheit. Die Massenmedizin kannte außer der Geschlechtsorgane keine Unterschiede zwischen Mann und Frau. Aristoteles nannte Frauen kaputte Männer. Ein Schelm ist, wer hinter der medizinischen, wissenschaftlichen Analyse der Geschlechter eine männliche Vorherrschaft vermutet.
Nun sind wir aber nicht mehr mit Laken bekleidet und Sandalen an den Füßen unterwegs und verrichten unsere Notdurft nicht auf der Straße. Also muss sich ja das Medizinische auch komplett geändert haben, oder? Nö!
Während jetzt im Bundestag nur noch ein Drittel Frauen vorhanden sind, existieren Frauen unter Medizinern quasi gar nicht. Kann man natürlich auch schon mal übersehen. Es wird also vornehmlich am männlichen Tier und männlichen Mann geforscht. Sowie an männlichen Zellen.
Liebe Mediziner! Ihr habt die Individualität der Geschlechter offenbar nicht mal optisch wahrgenommen oder für wichtig gehalten. Trotzdem haben sich Männliche Mediziner intensiv mit Frauen beschäftigt. Ist das ein Widerspruch? Nein! Denn Mann ist schon früh in der modernen Medizin auf die Idee gekommen, endlich nachzuweisen, dass Frauen dumm sind. Durch kleinere Gehirne sollte die Unterlegenheit bestätigt werden. Das ist tatsächlich bemerkenswert, denn dazu muss man Schädel öffnen, statt Kleider ablegen zu lassen.
Heutzutage kann man dazu lesen: „Diese These ist heute nicht mehr haltbar“. Das ist die medizinwissenschaftliche Formulierung für Bullshit. Blöderweise setzt sich so etwas in Männerschädeln über Jahrhunderte fest. Die haben ja auch größere Gehirne. Da passt mehr rein.
Bevor ich auf die Pharmaindustrie zu sprechen komme, möchte ich folgendes klarstellen. Dass es viele Infektionskrankheiten nur noch dem Namen nach gibt, dass viele Krankheiten lindernd bis heilend behandelt werden können, ist einzig der Pharmazie zu verdanken. Punkt.
Deshalb muss aber nicht alles eitel Sonnenschein sein und das ist es ganz und gar nicht. Eine ganz steile These fragt: „Kann es sein, dass geschlechterspezifisch Medikamente unterschiedlich wirken und andere Mengen wirksam sind?“
Äh! Diese Frage ist natürlich an eine Medizin gerichtet, die für ihre Medikamentendosis die Patienten sucht und nicht umgekehrt, weil es sonst zu teuer wird. Deshalb sind alle Menschen „kleine Männer mit 70kg“. Selbst ich bin ein kleiner Mann mit 70kg, obwohl ich mal 120kg wog. Nun, was soll da schon unterschiedlich sein? Herz, Lunge und das andere Gedöns haben ja alle. Außer des Gehirns, wie wir gelernt haben.
Individualität ist teuer! „Wir können doch nicht noch Studien machen für Frauen und Männer und dann wohl auch noch für was dazwischen“, rufen die Funktionäre in die Kameras. Stimmt. Das ist sicher zu viel verlangt. Dass man aber Frauenkrankheiten an Männchen untersucht, hat damit irgendwie nichts zutun. Ich könnte mir vorstellen, dass die Wahl des Namens der Wissenschaft, die sich mit diesem Thema beschäftigt, zumindest unglücklich gewählt ist. Gendermedizin! Das ist des Teufels, schreien sie da draußen im Land.
Nun, es kann daran liegen, dass Wissenschaft in englischer Sprache verfasst wird. Im Englischen wird ein Unterschied zwischen „Sex“ und „Gender“ gemacht. Bei uns ist das eins „Geschlecht“. Sex ist Biologie. Gender ist mehr das, was Männer in einer „Frau“ sehen. Grob erklärt. Trump hat gerade alle Erkenntnisse seit dem 18en Jahrhundert mit den Worten, es gibt nur zwei Geschlechter, weggewischt. Und wenn nicht der größte und intelligenteste Mensch aller Zeiten das weiß, wer dann?
Nun kann man im Internet nachlesen, dass früher fälschlicherweise davon ausgegangen wurde, dass alle Menschen kleine Männer sind. Da könnte man meinen, das habe sich fundamental geändert. Doch weit gefehlt. Die Realität sieht immer noch völlig anders aus, als die Wissenschaft, die das schon längst belegt hat. Wenn man alles weiß, heißt das noch lange nicht, dass man eine sehr gewinnträchtige Vorgehensweise über den Haufen wirft. Schon gar nicht, wenn eigentlich überwiegend Männer hohe Positionen in der forschenden Medizin belegen.
Die Vorreitern Frau Prof. Regitz-Zagrosek ist die deutsche Ikone in der Gendermedizin und leitete das Institut für Gendermedizin an der Charté Berlin 2008-2019. Sehr einsam in Deutschland, sehr einsam. Ihr ist es mit zu verdanken, dass wir heute wissen, dass Symptome für Herzinfarkt bei Frauen ganz anders aussehen, als das bei Männern der Fall ist. Bundesverdienstkreuz, immerhin!
Warum, fragt ihr euch jetzt bestimmt, profitiere ich denn nun von dieser rückständigen Männermedizin. Ich habe halt ne Frauenkrankheit und bekomme deshalb als Mann die richtige Dosierung. Ihr wisst ja, ich bin der Benjamin Button unter den MS Kranken. Ich bekam den richtigen Stoff!
Mit ironischen Grüßen euer Ingenieur